Palliativmedizin hat gemäß der WHO-Definition die Aufgabe, auch die Lebensqualität der Familien von Patienten mit unheilbaren Erkrankungen zu verbessern. Angehörige von Palliativpatienten sind in der Zeit der Pflege und nach dem Tod des Patienten stark belastet. Daher wurde am Interdisziplinären Zentrum für Palliativmedizin, Klinikum der Universität München-Großhadern, ein psychotherapeutisches Gruppenangebot (‚Existentiell Behaviorale Therapie’, EBT) zur Prävention von Belastungs- und komplizierten Trauerreaktionen sowie zur Verbesserung der Lebensqualität dieser Zielgruppe konzipiert. Die Gruppen wurden von Verhaltenstherapeuten geleitet, die anhand eines Behandlungsmanuals geschult und supervidiert wurden. Achtsamkeit, ein ursprünglich aus der buddhistischen Meditation kommendes Konzept, war ein wesentliches Element der Intervention, in Form von Psychoedukation und kurzen formellen (zehn Minuten Aufmerksamkeitslenkung auf den Atem) sowie informellen (bewusste Aufmerksamkeit bei Alltagstätigkeiten) Übungen. Die Studie wurde von der Deutschen Krebshilfe e.V. finanziert.
Das Gruppenangebot wurde in einem Mixed-Methods Ansatz speziell hinsichtlich der Wirkung von Achtsamkeit evaluiert. Mit quantitativer Methodik (Selbstbeurteilungsfragebögen vor und nach der Intervention sowie Katamnesen nach drei und zwölf Monaten) wurde der Zusammenhang zwischen Achtsamkeit (CAMS-R sowie Items zu Facetten von Achtsamkeit) und Symptombelastung (BSI), Lebensqualität (WHOQOL-BREF und Numerische Rating Skala), Lebenszufriedenheit (SWLS) und Lebenssinn (SMiLE) überprüft. Ebenso wurde Achtsamkeit als Prädiktor von Veränderung dieser Zielgrößen untersucht. .berprüft wurde ferner, ob der Interventionseffekt durch Achtsamkeit vermittelt war, ob das Konzept von den Teilnehmern als hilfreich erlebt wurde und welche Auswirkungen formelle und informelle Achtsamkeitsübungen hatten. Mit qualitativer Methodik wurde das subjektive Erleben der Intervention und ihrer Auswirkungen auf den Trauerprozess bei Teilnehmern untersucht, die ihren Partner verloren hatten. Dazu wurden 19 problemzentrierte, halbstrukturierte Interviews durchgeführt (16 ein Jahr und 3 drei Monate nach der Intervention) und inhaltsanalytisch ausgewertet.
Im Zeitraum von Juni 2008 bis Juni 2010 fanden insgesamt zehn geschlossene EBT-Gruppen mit ca. sieben Teilnehmern an jeweils sechs Terminen statt. In die quantitative Studie wurden 130 Angehörige von Palliativpatienten eingeschlossen. Zu Beginn der Intervention waren über zwei Drittel (71.6%) der Teilnehmer Hinterbliebene, die anderen betreuende Angehörige. Hohe Korrelationen wurden gefunden zwischen Achtsamkeit und geringerer Symptombelastung (BSI; r=-.51, p<.001) ebenso wie mit höherer Lebenszufriedenheit (SWLS; r=.52, p<.001) und Lebensqualität (WHOQOL-BREF, r=.60, p<.001). Höhere Achtsamkeit zu Beginn der Intervention war ein Prädiktor von Verbesserung von allgemeiner Symptombelastung, von Erhöhung von Lebenssinn (SMiLE) und Lebensqualität (Numerische Rating Skala) drei Monate nach der Intervention. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass ein langfristiger Interventionseffekt durch die psychotherapeutische Unterstützungsgruppe (über zwölf Monate) auf eine Veränderung von Achtsamkeit zurückzuführen ist. Auswirkungen der Häufigkeit der Durchführung von Achtsamkeitsübungen auf Lebensqualität und Lebenssinn konnten festgestellt werden. Fast alle Interviewpartner nannten soziale Unterstützung durch Menschen mit einem ähnlichen Schicksal als große Hilfe im Trauerprozess. Zusätzlich wurden spezielle Bewältigungsstrategien als hilfreich genannt, die unter dem Begriff ‚Selbstregulation’ zusammengefasst werden können. Als unterstützend wurden insbesondere Strategien zur Emotionsregulation hervorgehoben, die in Verbindung mit Achtsamkeit und Akzeptanz gesetzt werden können, etwa das Bewusstsein, dass Gedanken und Gefühle kommen und gehen, und die Fähigkeit, kreisende Gedanken zu stoppen und sich auf positive Aspekte zu fokussieren. Das in der Intervention explizit vorgestellte Konzept Achtsamkeit wurde insgesamt von den Teilnehmenden positiv aufgenommen und vor allem im Sinn von ‚Auf-sich-selbst- Achten’ (Selbstfürsorge) verstanden.
Achtsamkeit ist eine viel versprechende Möglichkeit, Angehörige von Palliativpatienten während der Pflege- und Trauerphase zu unterstützen. Die in der qualitativen Befragung gefundene Bedeutung von sozialer Unterstützung und Gruppenzusammenhalt (Kohäsion) steht im Einklang mit qualitativen Evaluationen anderer Unterstützungsangebote. Mit Achtsamkeit und Akzeptanz verbundene Strategien der Selbstregulation werden in den Interviews häufig als hilfreich genannt und stehen im Einklang mit modernen Trauertheorien. Weitere Forschung ist nötig hinsichtlich der optimalen Unterstützung von Angehörigen und einer für diese Zielgruppe angemessenen Psychoedukation zu und Übung von Achtsamkeit.
Entnommen aus o.g. Dissertation.